Die höchste Arznei

Das bekannte Wort von Paracelsus (1493-1541) kennen die meisten Patienten  u n d  Ärzte: „Die höchste Arznei aber ist die LIEBE!“.

Jeder spürt, dass es wahr ist, ja, dass es nicht anders sein kann. Paracelsus war zu seiner Zeit in seinem ärztlichen Handeln stets auf den Menschen vor ihm ausgerichtet. Und dies finden wir heute noch genauso wichtig und nötig.

 

Oder ist dieser Anspruch heutzutage überzogen? Hat dieses Thema überhaupt noch Platz im modernen Medizinbetrieb? Ist es bloß eine „fromme“ Floskel, eine nicht zu verwirklichende Vision, bei der wir höchstens an eine liebende Mutter denken, die ihrem Kind im Krankheitsfalle sorgend die Hand auf die Stirn legt? Oder ist die „liebende“ Arzt-Patient-Beziehung doch die  „heilige“ Basis, auf dem Heilung geschehen kann?

Liegt es einfach am gängigen System, dass dieser Boden, auf dem das „Heilungshaus“ stehen soll, wacklig, brüchig und sandig ist oder gar fehlt? Sind es nur Einzelfälle von Missständen oder allgemein verbreiteter Usus?

 

Wie auch immer – Erklärungen gibt es wohl viele für gängige Lieb- und Würdelosigkeiten und mangelnden Respekt, doch wohl keine Alibis!

Paracelsus schrieb: „Die gerechten Ärzte werden durch die Liebe erkannt, indem sie die Liebe zu dem Nächsten (Patienten) nicht brechen!“ Und:

„Dort, wo der Arzt heilig ist, der Kranke selig, da ist gut arzneien!“ Und: „Darauf merket, dass nichts ist, wo größere Liebe von Herzen gesucht wird, denn in dem Arzt!“.

 

Natürlich, das Medizinsystem muss sich ändern. Wir wissen es bereits seit Langem – so kann es ja nicht weitergehen. Es steht doch bereits am ethischen Abgrund.

Doch derweil... könnte und kann ein Arzt in seiner knappen Zeit dem Patienten trotzdem Respekt, Annahme, Mitgefühl und Herzensfreundlichkeit entgegenbringen als Ausdruck seiner inneren persönlichen Haltung. Ist er jedoch gestresst, erschöpft, gereizt und in weitverbreitetem Dünkel und Arroganz oder in Finanzmotivationen gefangen,  k a n n  der Weg nicht gut weitergehen.

 

Falls ein Arzt/Therapeut sich mit den Symptomen des Kranken überfordert fühlt, sich Frustration ersparen will oder keinen wirtschaftlichen Gewinn erkennt, wird er diesen sogleich weiterleiten an Fachärzte oder andere Diagnose- und Therapieeinrichtungen. Dies kann angebracht und richtig sein, es kann aber auch deutlich und direkt auf eine Störung in der „liebenden“ Arzt-Patient-Beziehung hinweisen, in der der Arzt einfach genug hat von „diesem Fall“.

Auch kann die eigene Schwäche, Unwissenheit, Hilflosigkeit und Vergänglichkeit  besonders durch chronisch oder unheilbar Kranke angesprochen werden. Die eigene Sterblichkeit wird berührt, an den eigenen Tod erinnert. Das Überbild der „therapeutischen Allmacht“ darf doch nicht gefährdet werden...

Die eigene Selbstheilungskraft des Patienten kann sogar ein regelrechter Anschlag auf den Stolz, die Grandiosität und den Zwang zur Macht des Mediziners sein, weswegen sein Interesse und seine Präsenz schwinden. Der Patient wird „entlassen“.

 

Durch eine schöne Homepage entsteht noch kein Vertrauen, eine gute Bewertung auf „docfinder.at“ oder anderen Ärzteportalen, von der keiner weiß, von wem sie wirklich geschrieben wurde, macht noch keinen guten Arzt, das zeigen alleine die unterschiedlichen Bewertungen und die eigenen Erfahrungen, die dann nicht dazu passen.

 

Sind die Begegnungen mit dem Arzt mehr technisch orientiert und nicht einfühlsam genug, können hieraus Ängste beim Kranken entstehen. Er fühlt sich verloren und unsicher. Besonders bei Krankenhausaufenthalten können daraus weitere Komplikationen entstehen durch Verlassenheitskonflikte, Zuhause-Verlust-Konflikte bis zu Todesängsten. Wird der Kranke oder Verletzte vom Klinikpersonal in seiner einmaligen Persönlichkeit wahrgenommen und geachtet?

Braucht nicht gerade er, der an Leib und Seele Gefährdete, besondere Zuwendung? Besonders viel Liebe und Annahme? Wer fängt ihn emotional auf?

Welche Worte und welchen Ton bekommt der Patient zu hören? Baut ein Operateur genug Vertrauen auf, und findet er einen sanften Bezug zum zu Operierenden? (Von unzähligen Berichten weiß man, dass Patienten sogar in Narkose alle Worte und Handlungen der anwesenden Ärzte unbewusst mitgekommen und davon geprägt werden können!).

Interessanterweise nehmen z.B. arabische reiche Patienten, die sich in Europa behandeln lassen, öfter den halben Familienclan mit in das Spital, um dem Kranken das Gefühl der Geborgenheit zu geben. Wie klug!

 

Auch Diagnosen und Prognosen müssen einfühlsamer mitgeteilt werden. Bei Maßnahmen nicht bedrängt zu werden, keine respektlosen Übergriffe zu erleiden und keine Angst eingeflößt zu bekommen, kann sich als Segen erweisen.

Die Integrität des Menschen ist besonders in Spitälern Thema, es sollte sehr feinfühlig damit umgegangen werden.

Entstehende „Revierängste“ durch Mitpatienten im selben Zimmer (Schnarchen, schmerzvolles Stöhnen und Weinen, sonstige nächtliche Ruhestörungen, Bedrohung der Intimsphäre) könnten besser verhindert werden.

 

Ein guter Arzt ist bescheiden und sich seiner Unvollkommenheit bewusst. Er wendet sich dem heilbaren wie dem unheilbaren Patienten mit gleichem Interesse und Anteilnahme zu. Er verhilft dem Kranken zur Selbstheilung und ist Begleiter. Er arbeitet beständig an seinen empathischen und liebenden Fähigkeiten.

 

„So muss ein tugendhafter Arzt zuvor ein tugendhafter Mensch sein...“, schreibt Prof. E. Prat de la Riba von IMABE, Wien.

Maximilian Gottschlich in seinem Buch „Medizin und Mitgefühl“: „Ohne Mitgefühl kann man nicht heilen, bestenfalls reparieren... Der Arzt hat eine Bringschuld, auch dann, wenn verunsicherte Patienten nicht von selbst Fragen stellen...! Gespielte Freundlichkeit prallt am Kranken ab, sie ersetzt nicht das Mitgefühl.... Früher waren die Patienten das bloße Objekt der Behandlung, heute herrscht das Bewusstsein, dass sie eher „Kunden“ sind. Beides ist der falsche Weg!... Mit die bedrückendste Erfahrung in Spitälern zählt die Erfahrung kommunikativer Not! ...Es gibt zu wenig Ärzte mit offenem Herzen, und diese leiden unter dem System... Die Überlebensraten bei Brustkrebspatientinnen sind höher bei guter Kommunikation mit dem Arzt...“.

 

Die Einforderung von Liebe, Respekt und Mitgefühl zum Patienten – ein verlorener Kampf gegen Windmühlen? Hoffen wir es nicht!

Empören wir uns und fordern wir ein!

 

"Die Schulmedizin hat eine große Zukunft hinter sich."

Gerhard Kocher in „Vorsicht – Medizin!“

 

 

 

copyright: Carmen Wanko, carmen.wanko@posteo.de