Depression oder Traurigkeit

Gedanken und Erfahrungen zur Unterscheidung

 

Eine Menge Bücher sind zum Thema Depression verfasst worden. Insgesamt ist inzwischen allgemein bekannt, dass mit der Diagnose „depressiv“ heutzutage vieles abgedeckt wird, was eigentlich eine ganz natürliche Traurigkeit/Trauer in einer nötigen seelischen Verarbeitungs- und Erholungszeit oder natürlichen und notwendigen seelischen Rückzugs- und Abgrenzungsphase nach einer massiven Lebensveränderung, einer großen Verletzung, langen Schmerzzuständen, einem Loslassen, einem Abschied oder Verlust ist.

 

Sogar die kleinen natürlichen Gefühlstiefs des seelischen Biorhythmus, die von Geburt an alle zwei Wochen 14 Tage lang im Organismus stattfinden, werden „depressive Verstimmungen“ genannt.

Und meist dann, wenn kein sichtbarer äußerer Grund vorhanden ist, werden die vorhandenen Gemütssymptome oft als „endogen“, unerklärlich von innen kommend, bezeichnet, wo also ein Arzt einfach keine handfeste Ursache findet, weil er sich nicht genügend Zeit nimmt oder die Zusammenhänge nicht kennt. Und wenn der Patient erst einmal die Diagnose hat, wird sie im Gehirn festzementiert, was Folgen haben kann: Diagnoseschocks können bekanntlich auch krank machen...

Mit vorschneller und unangebrachter Medikamentierung (welche ansich in Ausnahmefällen eine gewisse Zeit angebracht sein kann) wegen angeblicher Fehler in der Gehirnchemie machen es sich heutige Schulmediziner in den meisten Fällen zu leicht. Davon lebt wiederum die milliardenschwere Pharmaindustrie...

 

   Beispiel:

Eine 75jährige Dame hat vor 6 Wochen ihren Mann verloren und weint Tag und Nacht in natürlicher Trauer um ihren geliebten Gatten. Wegen einer Infekterkrankung geht sie zu ihrem Hausarzt, der ihre verweinten Augen sieht und nachfragt. Auf die Auskunft, sie sei so arg traurig wegen des Verlustes, reagiert der Arzt mit:

„Ach, Frau Müller, das ist doch einfach... da verschreib ich Ihnen doch gerne etwas!“ Darauf die Patientin: „Nein, Herr Doktor, ich nehme keine Tabletten, ich weine lieber!“

Dieser Patientin gehört gratuliert und bestätigt, dass sie ein Jahr lang traurig sein darf, ohne behandlungsbedürftig zu sein, je mehr sie weine, um so besser.

Dass andere Völker ihre Traurigkeit ganz anders, nämlich massiv, ausdrücken und zur Mithilfe des Trauerprozesses sogar Klageweiber engagieren, ist bekannt: Je intensiver Trauer durchlebt und ausgedrückt wird, umso kürzer die Trauerzeit.

Wer nicht ordentlich trauert, wird depressiv!

 

   Zum klassischen und pauschalen Diagnose-Parameter z.B. einer Erschöpfungs-Depression zählten bis jetzt auch immer Antriebslosigkeit, Entpersonalisierung, innere Leere etc.

Dazu einmal ein paar „verrückte“ Gedanken: Können diese Symptome nicht auch grundsätzlich Zeichen einer geistig hohen Entwicklungsstufe sein, die alle Weisen und Yogis der Welt seit allen Zeiten lehrten?!

Mal abgesehen von dem möglichen im Leben immer wieder mal angebrachten notwendigen biologischen Sinn des Freiseins von Antrieb (Vagotonie), nämlich der Erholung und Regeneration, ist doch das Nicht-Wollen die höchste Lebenskunst der reiferen Jahre, der zweiten Lebenshälfte, oder? Das Ich (Ego) aufgeben, die Persona auflösen, das Ziel vieler Erdenleben, oder? Und die innere Leere - bekanntes Ziel der Meditation - die Voraussetzung dafür, dass wir Gott in uns aufnehmen können? Und wäre ein bewusster Rückzug aus der Gesellschaft für eine Zeit lang nicht mal eine heilsame Erfahrung, wie sie alle Weisen aller Zeiten durchführten?

 

   Vielleicht werden diese Symptome ja nur dann zur echten Gefahr für Leib und Seele, wenn wir ihren wirklichen Sinn nicht verstehen und falsch mit ihnen umgehen! Werden sie nur deswegen verteufelt, pathologisiert und bekämpft, weil sie nicht in unsere Stress- und Profitgesellschaft passen und dort immens stören? Als Betroffene bewerten wir diesen Zustand von Haus aus natürlich auch erst mal als negativ, weil wir ja so erzogen sind...

Manchmal muss man sich wohl einige scheinbar aussergewöhnliche Gedanken erlauben, um ein altes, zu starres Gedankengebäude zu verlassen und einen neuen geistigen Horizont zu bekommen.

 

Ein gewissenhafter Arzt wird feststellen, dass bei einem echt Depressiven meist chronisch unterdrückte starke Gefühle wie Wut, Hass, Trauer, Schmerz, Liebe, Freude, sowie lange nicht erfüllte emotionale Grundbedürfnisse nach Liebe, Lust, Selbstentfaltung, Freiheit und SINN der Hintergrund sind.

Das heißt, eine unterdrückte Traurigkeit ergibt dann oft irgendwann eine echte Depression (lat. deprimo = unterdrücken). Echte Traurigkeit hat in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft nunmal kaum einen Platz, ist nicht erwünscht und wird eben schlecht bewertet. Das ist doch tatsächlich wirklich schade.

Dabei sind ja  a l l e  Gefühle zunächst einmal grundsätzlich in Ordnung. Sie gehören nur konstruktiv und vollständig ausgedrückt (das geht nur ohne Bewertung!). Auch der Hass, der seine Entstehung in der Kindheit hat (Alice Miller), natürlich ohne jemand zu schaden. Dafür gibt es ja unschädliche Ausdrucksmöglichkeiten, die zur Auflösung derselben Gefühle führen.

Tatsächlich umfasst die LIEBE alle Gefühle und trennt nicht in gut und böse. Und erst die Trennung ist die „Vertreibung aus dem Paradies“ und Ursache der Neurose...

 

Das wissen nicht mal alle Therapeuten, weil sie selbst im Patriarchat stecken bzw. selbst noch eigene Schatten verdrängt haben… Und die Positiv-Denker und Harmoniefixierten in der New-Age-Szene tun ihr Übriges dazu. Das Schwere wird gar nicht geliebt. Und sein Sinn nicht erkannt.

Gedicht dazu:

 

TRAURIGKEIT

 

Ach, Traurigkeit, du Ärmste!

Keiner will dich.

Keiner liebt dich.

Ach, Traurigkeit, du Ausgestoßene!

Niemand mag dich.

Niemand lässt dich da sein.

Ach, Traurigkeit, du Abgelehnte!

Alle verdrängen dich.

Alle verschweigen dich.

Ach, Traurigkeit, du Ungeliebte!

Jeder unterdrückt dich.

Jeder hasst dich.

Ach, Traurigkeit, du Verteufelte!

Keiner versteht dich.

Keiner bejaht dich.

Ach, Traurigkeit, du Verlorene!

Wie traurig…

 

Eines Tages war ich mal traurig. Ich weiß den Grund nicht mehr. War es “nur” eine  Allerweltstraurigkeit (weil wir so viel Destruktives auf diesem Planeten durch die Medien erfahren)? Oder ein biorhythmisches Tief? Oder der Vollmond? Oder ein PMS (prämenstruelles Syndrom)? Oder alles zusammen? Egal.

Jedenfalls rief eine Frau an und sagte erstaunt, nachdem ich mich gemeldet hatte: “Sie klingen aber heute irgendwie traurig….!” Und ich antwortete: “Ja, ich bin heute traurig.” Und sie: “Was? Sie?” Und ich: “Ja, natürlich ich. Haben Sie ein Problem damit, wenn ich traurig bin?  I c h  habe keines damit. Ich liebe meine Traurigkeit genauso wie meine Freude. Ich glaube, Sie idealisieren mich…” und so weiter…

 

Bei Traurigkeit könnte man zu entsprechender Musik tanzen (z.B. der Trauermarsch von Chopin eignet sich vorzügich dazu) oder schreiben, dichten oder backen. Bei Letzterem entstehen dann je nach Befinden und den entsprechenden Gefühlen Traurigkeitskekse, Wutkuchen, Liebes- und Freudeplätzchen, Langeweilegebäck, hm – lecker... Jedenfalls tut es immer gut, alle Gefühle zu bejahen und auszudrücken und ihnen einen Raum zu geben, wo sie sein dürfen. Auch Jesus war traurig und voller Angst im Garten Gethsemane. Er spielte nicht den Starken, Mutigen. Und bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel war er wütend, nämlich im „heiligen“, weil angebrachten Zorn!

 

In einer Erschöpfungsdepression z.B. gibt es natürlich einige gute menschliche Gründe, um echt traurig zu sein: ...weil die Kraft weg ist, weil ein alter Abschnitt vorbei ist, weil ich erst mal machtlos und hilflos bin, mich wertlos fühle, weil andere darüber urteilen oder mich nicht verstehen, weil ich selbst denke, ein Burnout sei was Schlechtes, ein Versagen, eine Schande…

Oft ist es natürlich und gut zu weinen! Viel weinen! Wir weinen doch alle zu wenig, schreibt Franz Alt in “Liebe ist möglich”. Inzwischen kann man in angebotenen Lachseminaren auch weinen lernt… Die Polarität dieses Planeten: Es gibt nur beides oder gar nichts. Unsere Welt ist nun einmal tatsächlich zweipolig. Doch niemand kämpft gegen Ebbe nach der Flut. Und wer will behaupten, dass der Tag wichtiger oder besser ist als die Nacht, in der wir uns für den Tag wieder regenerieren?

Bei diesem Thema höre ich die bekannte Barbara Rütting in einem Fernsehinterview sagen: “Ich weine viel, ich lache viel – ich bin  l e b e n d i g !”

Solange ein Mensch noch weinen  k a n n , ist er seelisch noch recht gesund. Wehe dem, der nicht mehr weinen kann. Das gefährliche Stadium vor dem Suizid.

 

Bei Depressionen ist es in der ganzheitlichen Behandlung mehr oder weniger wichtig, auch auf körperlicher Ebene mitzuhelfen, in Form von vollwertiger Ernährung mit genug Vitamin-B-Komplex für Gehirn und Nervenkostüm, sowie Darmreinigung und Leberentlastung (Entgiftung), Weglassen von isoliertem Zucker, dem Vitamin-B- und Calcium-Räuber, Auszugsmehl und zu viel tierischem Eiweiß. Eventuell wird mit Vitamin D oder B 12 o.a. eine zeitlang ergänzt.

In der Einheit Seele-Körper-Geist wirkt nun mal alles auf alles.

Wunderbare homöopathische Mittel (Hochpotenzen) haben schon vielen Depressiven  d u r c h  das tiefe Tal hindurch geholfen. Blütenessenzen nach Dr. Edward Bach können die Seele auch unterstützen.

 

Jedoch gibt es im menschlichen Leben Zeiten, die es nötig machen, ins „Tal“ zu gehen, d.h. in diesem Falle ist es sinnvoll, keine Lichttherapie zu machen, sondern sich bewusst eine zeitlang in einen dunklen Raum zu begeben. „Es gibt eine Zeit zu lachen und eine zu weinen!“ steht im Buch Kohelet.

In „Tälern“ geschehen auch öfter größere Charakterwandlungen als oben auf dem fröhlichen Berg. Reife Menschen wissen das. Man denke nur an die Schlange am Asklepios-Stab (Urform), die erst mal hinunter steigt, bevor sie heilend hochsteigt... auf deutsch: Vor jeder Aufstehung kommt eine Kreuzigung.

Der italienische Pionier der transpersonalen Psychologie und Psychotherapie, Prof. Roberto Assagioli beschrieb ausführlich in der Abhandlung „Geistige Entwicklung und nervöse Störungen“ die verschiedenen Psycho-Krisen auf dem Weg der spirituellen Entwicklung und unterscheidet die Krisen  v o r  dem geistigen Erwachen, Krisen  d u r c h  geistiges Erwachen, Rückschläge  n a c h  dem geistigen Erwachen, die Stufen der Umwandlung und am Schluss „die dunkle Nacht der Seele“. Demnach können große seelische Wandlungen, Läuterungen und Entwicklungssprünge von heftigen „Tiefs“ begleitet werden.

Die wenigsten Menschen kennen sich jedoch damit aus und wundern und ängstigen sich über diese verschiedenen Symptomatiken. Und welcher Arzt/Therapeut weiß schon darüber genau Bescheid und verwechselt diese „Störungen“ nicht mit solchen anderer Genese?!

 

   Weitere Ursachen tauchen in der Therapiearbeit auf: Die sogenannte familiensystemisch übernommene Trauer oder das Sich-tot-Stellen aus Solidarität oder die Depression in der Nachfolge bzw. Nachahmung eines bereits verstorbenen Ahnen, mit dem man verbunden ist. Dies geht unbewusst und automatisch in einer Art Ausgleichsfunktion (Bücher dazu sind auf dem Markt).

Weiters können tabuisierte Familiengeheimnisse und -aufträge sowie andere Traumata in der Ahnengeschichte eine Rolle spielen. Ein Blick in die Kindheit (soviel wie nötig) zeigt, ob eine Ungeliebtheitswunde als Basis vorhanden ist, die zur Arbeit an der bedingungslosen Selbst-Liebe auffordert.

Manchmal freilich kommen mehrere Gründe nebeneinander in einem Sowohl-als-auch zusammen auf verschiedenen Ebenen.

 

Insgesamt ist festzustellen, dass die grundsätzliche pauschale Bewertung sogenannter „negativen“ Gefühle nicht hilfreich ist, anstatt dessen braucht es erstmal Akzeptanz und Raum. Der Mensch sieht, erkennt und versteht nicht, was er „weg haben will“. Im Gegenteil, die Medusa sucht sich bei oberflächlicher symptomatischer „Bekämpfung“ auf Dauer neue Ausdrucksformen.

Diese ganzheitliche Arbeitsweise verlangt vom Behandler echte Liebe zum Menschen, Mut zur Wahrheit der verdrängten Gefühle und der ganzen Geschichte des Patienten, vollkommene Annahme und vor allem Zeit und echtes Interesse. Hat ein Arzt oder Therapeut selbst – wie erwähnt – zu viele verdrängte Gefühlsschatten wie eigene Traurigkeit und Angst vor diesen, wird er seinen Patienten nicht angemessen behandeln können und wollen.

Die heutige Psychiatrie und das Therapiewesen ist realistisch betrachtet und geprüft sowieso ein Skandal und gehört jedenfalls längst grundlegend reformiert, s. das (m.E. nobelpreiswürdige) Buch von Prof. Franz Ruppert „Verwirrte Seelen – Der verborgene Sinn von Psychosen“, in dem auch ausführlich die systemischen Hintergründe von Depressionen - und wie man sie ohne Psychopharmaka (ein Kapitel für sich) heilen kann - erläutert werden.

 

Doch bitte: Sind wir derweil ganz natürlich traurig und... fröhlich und lassen uns nicht zum Krankheitsfall machen, wo keiner ist!

 

Die Mitte der Nacht ist der Anfang vom Tag.

 

Geh ich zeitig in die Leere, komm ich aus der Leere voll.

Wenn ich mit dem Nichts verkehre, weiß ich wieder, was ich soll. Bert Brecht

 

Wer stirbt, bevor er stirbt, stirbt nicht, wenn er stirbt! Hl. Angelius Silenius

 

Die Schüler kamen zum Meister: „Meister, wie sollen wir heiß und kalt vermeiden?“

Der Meister sprach: „Seid heiß – seid kalt!“

 

Man kann ein Loch im Strumpf nicht stopfen, in dem man es abschneidet!

 

 

Copyright: Carmen Wanko, carmen.wanko@gmx.at